Warum es nicht heissen kann „Künstler oder Touristiker“
Im Verlauf der Corona-Epidemie wurde stets differenziert zwischen Tourismus und Kulturbranche respektive zwischen Touristikern und Künstlern als Akteure.
Warum das falsch ist, propagiere ich seit Anfang der Corona-Epoche – also mitunter fast seit einem Jahr:
Touristiker als Künstler – Künstler als Tourismusmotor
Wenn wir uns landläufig über Berufe und Branchen unterhalten, sehen wir zumeist trennende und clichierte Elemente: Der Buchhalter arbeitet nicht in der Werkstatt, der Mechaniker steht kaum vor einer Schulklasse, Künstler arbeiten abends (arbeiten sie überhaupt oder haben sie nur Spass?), Direktoren machen eigentlich gar nichts, usw.
Nun ist eine die ganze Welt erschütternde Phase wie gegenwärtig mit Corona durchaus kein Anlass, sich mit mehr oder weniger unbrauchbaren Clichées aufzuhalten.
Also schauen wir einmal auf die Systeme.
Systeme sind gegenseitig voneinander abhängige Akteure oder Gruppen von Akteuren, direkt abhängig oder indirekt. Und zwar unabhängig von Distanzen. Und unabhängig von beruflichen Spezialisierungen oder vom Status.
Tourismussysteme
Im Tourismus heisst das: Der Concierge auf Mauritius arbeitet nicht nur im System seines Hotels, vernetzt mit seinen Kollegen und Vorgesetzten und Gästen, sondern auch indirekt im System mit dem Reisebüroinhaber in Bad Salzuflen, der seit Geschäftsbestehen jedes Jahr ein paar Reisen in ebendieses Hotel auf Mauritius verkauft hat.
Damit haben sich die touristischen Systeme Reisemittler und Beherbergung getroffen. (Dazwischen war noch das touristische Teilsystem Verkehr/Mobility im Einsatz.)
Tourismus trifft Kultur
Eine andere Variante: Der Geschäftsreisende aus den USA mag zwar für seinen Medizinkongress nach München gekommen sein, wenn er allerdings abends eine Aufführung in der Staatsoper ansehen wird, ist er plötzlich als privater Tourist in einem Kulturbetrieb unterwegs. Und damit als Incoming-Tourist systemisch verbunden mit der Kulturbranche und den da beteiligten Akteuren, nebst Künstlern auf der Bühne und im Orchestergraben einer Vielzahl von Akteuren vom Abendspielleiter über Bühnentechniker, Kantinenmitarbeiter und Kassenpersonal bis zu Übertiteloperateuren.
Hier hat sich also der Bereich Incoming-Tourismus direkt mit dem System Kultur getroffen.
Kultur als Tourismusmotiv
Wenn nun dieser Medizinkongressteilnehmer (oder war es eine Teilnehmerin?) durch eine Bekanntschaft zu einem Ausflug nach Verona eingeladen wird, tritt das System Kultur als Auslöser für den Tourismus auf.
Diese Zusammenhänge lassen sich auf vielerlei Arten aufzeigen, in allen Sektoren der beiden Systeme Tourismus und Kultur.
Und unabhängig davon, ob es sich um staatlich (teil-)finanzierte Institutionen oder vollständig privatwirtschaftliche Betriebe handelt. (Wobei „Betrieb“ hier eben auch Einzel-Akteure sein können.)
Ganz abgesehen davon wird im System Tourismus auch das Teilsystem Events definiert. Und darin ist genau besehen die Kulturwirtschaft im sehr weiten Sinn enthalten – soweit es sich nicht um rein gewerbliche Veranstaltungen wie Kongresse oder Verkaufsmessen handelt.
Doch Stopp! Trat nicht letztens auf einer Medizingerätemesse ein Walking Act-Künstler auf? Und zum Jahreskongress der nationalen Lackindustrie wurde ein weltbekannter Airbrush-Künstler eingeladen.
Corona-Not ist gemeinsame Not
Insofern ist es eigentlich müssig, diese Zuordnungen auszudifferenzieren. Denn die Akteure der touristischen wie der künstlerischen Welt leiden an den massiven, politisch verordneten Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie.
Deshalb sage ich – und als Nicht-Kommunist darf ich das:
Künstler und Touristiker vereinigt Euch!
Trefft Euch in gemeinsamen Gesprächsrunden, formuliert gemeinsame Forderungen an die politischen Entscheider hinsichtlich pragmatischer und halbwegs tragbarer Regeln.
Denn hier ist tatsächlich eine Masse gefragt, bei der die politische Klasse und deren Verwaltungskaste in die Knie gehen.
Solidarität darf nicht bedeuten, dass wir alle schön brav gemeinsam den Regierungsedikten gehorchen!
Solidarität sollte heissen, dass wir im Bewusstsein die eigenen, gemeinsamen und gegenseitigen Bedürfnisse den Weg gehen, der am wenigsten Not bewirkt.
Und hier gilt:
Wer stehen bleibt, wird überhaupt keinen Weg gehen.
Wer dagegen ein Stück den falschen Weg geht, kann notfalls das Stück zurück gehen.
Und je mehr bewusste und fachlich fundierte Sichtweisen in die Wegbeschlüsse einfliessen, desto eher dürfte der Weg funktionieren – mit wenig Verlust unterwegs.
Mit Unternehmergeist, getragen von systemischer Entscheidungs- und Handlungskompetenz.
Und in Zeiten von Netzwerken auf physischer und virtueller Ebene denke ich, dass das Netzwerken zumindest technisch eigentlich gar kein Problem sein dürfte.
Wo wir aber noch wachsen können: In Systemen zu denken. Denn nur dann haben wir eine Chance, mit geringstmöglichem Schaden aus der Misère herauszukommen.
© Nils W. Bräm, 21.2.2021